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Der Wähler und die Wirtschaft

Veröffentlicht am 02.07.2016

„It’s the economy, stupid!“ – mit dieser Parole schwor einst der Wahlkampfmanager Bill Clintons seine Mitarbeiter auf die wahlentscheidende Frage ein. Nicht Krieg und Frieden, nicht der Abbau demokratischer Grundrechte oder die drohende Klimakatastrophe, nicht der Hunger in der Welt oder der Verfall der guten Sitten beeinflussen entscheidend das Wahlergebnis, sondern die wirtschaftliche Situation. Und zwar nicht die im eigenen Staat oder gar die in der vernetzten Welt, sondern die höchstpersönliche...

„It’s the economy, stupid!“ – mit dieser Parole schwor einst der Wahlkampfmanager Bill Clintons seine Mitarbeiter auf die wahlentscheidende Frage ein. Nicht Krieg und Frieden, nicht der Abbau demokratischer Grundrechte oder die drohende Klimakatastrophe, nicht der Hunger in der Welt oder der Verfall der guten Sitten beeinflussen entscheidend das Wahlergebnis, sondern die wirtschaftliche Situation. Und zwar nicht die im eigenen Staat oder gar die in der vernetzten Welt, sondern die höchstpersönliche.

Dabei lässt sich in Demokratien das Wahlergebnis so prognostizieren: Ist für die Mehrheit der Wahlbevölkerung das verfügbare Einkommen, also z. B. Renten oder Löhne nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, in letzter Zeit gestiegen, wird die Regierung wiedergewählt, andernfalls verliert sie. Dieses simple Erklärungsmuster funktioniert bei einem Zweiparteien-System wie in den USA und lange Zeit auch im UK sehr genau, bei einem Mehrparteien-System wie Deutschland, bei dem die Regierungsbildung maßgeblich durch das Wahlergebnis kleinerer Parteien und der sich ergebenen Koalitionsarithmetik beeinflusst wird, ist die Prognosekraft etwas eingeschränkt.

Ein sehr wichtiger Punkt in dem oben beschriebenen Muster ist der schwammige Terminus „in letzter Zeit“. Es ist mitnichten die Veränderung des ökonomischen Wohlergehens seit der letzten Wahl, die unseren Wähler lenkt, sondern, wie statistische Analysen zeigten, die Veränderung zum Vorjahr (also ein Jahr vor dem Wahltermin), die maßgeblich ist. Daher die alte und völlig richtige Regierungsregel, die Grausamkeiten direkt nach der Wahl zu begehen, in der Hoffnung im letzten Jahr vor der nächsten Wahl die erhoffte Ernte einzufahren. Der Wähler hat ein kurzes Gedächtnis. 

Noch wichtiger ist aber, dass es nicht die allgemeine Wirtschaftslage und deren Entwicklung ist, die den Wähler bei seinem Gang zur Urne steuert, sondern der höchst egoistische Blick ins eigene Portemonnaie, der ihn sein Kreuz an der richtigen Stelle machen lässt. Nicht, ob die Arbeitslosigkeit in den letzten vier Jahren gestiegen ist, ist für ihn maßgebend, sondern ob er selbst seinen Job verloren hat. Nicht, ob die Steuern für die Superreichen erhöht oder gesenkt wurden, interessiert Otto-Normal-Verdiener, sondern ob seine Lohnerhöhungen von der Steuer aufgefressen wurden oder nicht. Nicht für die Änderungen der Rentenbeiträge der Arbeitnehmer, sondern für ihre eigene Rentenerhö Der Wähler ist egoistisch.

Wahlprogramme sind für die Mehrheit der Wähler völlig bedeutungslos. Nicht irgendwelche Vorhaben von Regierung oder Opposition sind für unseren Kreuzchenmacher von Belang, sondern ob sich seine Lage gerade verbessert hat oder nicht: Falls ja, sollen „die da oben“ weitermachen, falls nein, müssen „die in Berlin da weg“, „sollen doch mal die anderen ran“. Hat er allerdings mehrfach wiederholt Enttäuschungen erlebt, gibt er sein Wechselspielchen ganz auf oder versucht es mal mit Radikalen, egal ob von links oder rechts. Der Wähler ist perspektivlos.

Kein Wunder, dass Parteien, die an der Regierung oder im Parlament bleiben oder an sie oder in es kommen wollen, nicht müde werden, je nach Ausgangslage Erfolge oder Misserfolge in Blick auf den Einzelnen darzustellen, statt Veränderungen für das Gemeinwohl zu thematisieren. Regierungen versuchen, sich mit kurzfristigen Lösungen von Wahlperiode zu Wahlperiode zu hangeln, die vielen rasch Vorteile bringen oder zumindest erträglich wenig kosten. Dass so die mittel- und langfristigen Probleme bis zur Unmöglichkeit demokratischer Lösbarkeit verschärft werden, wird nicht nur anhand des Klimawandels offenbar. Der Wähler ist zukunftsblind

 

 

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