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Das Fairness-Dilemma

Veröffentlicht am 01.07.2016

Mir und den meisten meiner Zeitgenossen in den reichen Ländern hat der Zufall der Geburt einen doppelten Glückstreffer beschert. Erstens gehören wir geographisch, wo auch immer wir in der hiesigen Gesellschaft stehen mögen, zu dem kleinen Teil der aktuellen Menschheit, der es sich auf Kosten des übergroßen Rests doch einigermaßen gutgehen lassen kann. Zweitens haben wir auch historisch Fortuna auf unserer Seite gehabt ...

Mir und den meisten meiner Zeitgenossen in den reichen Ländern hat der Zufall der Geburt einen doppelten Glückstreffer beschert. Erstens gehören wir geographisch, wo auch immer wir in der hiesigen Gesellschaft stehen mögen, zu dem kleinen Teil der aktuellen Menschheit, der es sich auf Kosten des übergroßen Rests doch einigermaßen gutgehen lassen kann. Zweitens haben wir auch historisch Fortuna auf unserer Seite gehabt, waren doch die Jahre nach 1950 von beispielloser Massenprosperität, Wachstum und Konsumbeglückung geprägt. Dass diese fetten Jahre sich zusehends dem Ende neigen und also eine räumliche und zeitliche Randnotiz der Weltgeschichte darstellen werden, wird in gewöhnlich gut informierten Kreisen allmählich zum Allgemeingut.

Uns plagt nun aber ein doppelt schlechtes Gewissen. Die Gunst der Stunde und des Ortes nutzend, haben wir Wirtschafts-, Arbeits- und Konsum-, kurz: Lebensweisen entwickelt, die sowohl die Armen der heutigen Welt ausbeutet als auch den zukünftigen Generationen einen zerstörten Planeten hinterlässt. Wir verhalten uns unfair gegenüber der Gegenwart und der Zukunft.

Die Schuld gegenüber der Zukunft scheint eher zu Verhaltensumkehr zu ermuntern: Den Klimawandel vor Augen, wird der persönliche ökologische Fußabdruck zur moralischen Kontrollinstanz. Gelegentliche Verstöße wie ein Transatlantikflug werden durch Ernährungsumstellung schnell gebüßt. Man ahnt, dass die Auswirkungen des planetaren Feedbacks auch einen selbst oder die eigenen Kinder treffen können. Die Klimakatastrophe wird als gigantische Lotterie inszeniert, bei der, wer die meisten Lose kauft, Hoffnung auf die nicht ganz so fürchterlichen Nieten haben darf. Das mobilisiert offenbar leichter Veränderungspotenziale als die akute Weltarmut. Und wenn diese in Form von Flüchtlingsströmen an die Tür klopft, werden in Wagenburg-Phantasien die eigenen Habseligkeiten abzusichern gesucht. Ein paar Cent mehr in fair gehandelte Bananen investieren reichen aus, um beim globalen Ablasshandel auf der Seite der Guten zu stehen.

Fairness gegenüber der Gegenwart bedeutet vor allem: Den Benachteiligten dieser Welt gerechte Löhne zu zahlen, vernünftige Arbeitsbedingungen zu sichern, ökologische Unwuchten global auszubalancieren, das Recht auf Bildung überall zu garantieren, jeden mit sauberem Wasser und medizinischer Hilfe zu versorgen. Das setzt führt zu einem enormen Wachstum der armen Länder und erfordert zur Finanzierung eine nach wie vor hohe Wirtschaftsleistung der reichen Länder. Der durchschnittliche ökologische Fußabdruck wird weltweit enorm steigen, und bei einer noch weiter wachsenden Menschheit rückt die ökologische Apokalypse beschleunigt heran. Fair entlohnte Bananenschneider werden vom erhöhten Einkommen kein Holzspielzeug kaufen, sondern Autos, werden mehr Wohnraum beanspruchen und mehr Fleisch essen.

Fairness gegenüber der Zukunft hingegen verlangt, den durchschnittlichen ökologischen Fußabdruck zügig und radikal zu senken. Dies erfordert eine drastische Reduzierung der Wirtschaftsleistung in den fortgeschrittenen Ländern einschließlich eines enormen Einschnitts in die Konsumstandards. Auch den Schwellenländern muss ihr Wachstum verweigert werden, liegt doch auch ihr Fußabdruck seit bald zehn Jahren über dem von der Erde verkraftbaren Limit. Lediglich den Ärmsten der Armen mag noch eine leichte Erhöhung an Ressourcenverbrauch zugestanden werden.

Dieses Fairness-Dilemma markiert die prekäre Situation der Menschheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Bei den Wohlstandsbürgern der reichen Länder führt sie zu einer schwer therapierbaren moralischen Schizophrenie.

 

 

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