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Der Brexit und linke Reflexe

Veröffentlicht am 04.07.2016

In der Politik wird häufig aus hehren Motiven das Falsche getan. Der umgekehrte Fall, dass man aus irrigen Gründen heraus zu vernünftigen Aktionen und richtigen Entscheidungen gelangt, ist unter Umständen zurzeit beobachtbar. Die Fehlinterpretationen der europäischen Linken über die Ursache des Brexits könnten letztlich doch zu einer begrüßenswerten Kurskorrektur führen...

In der Politik wird häufig aus hehren Motiven das Falsche getan. Der umgekehrte Fall, dass man aus irrigen Gründen heraus zu vernünftigen Aktionen und richtigen Entscheidungen gelangt, ist unter Umständen zurzeit beobachtbar. Die Fehlinterpretationen der europäischen Linken über die Ursache des Brexits könnten letztlich doch zu einer begrüßenswerten Kurskorrektur führen.

Völlig neben den wahren Gründen für die demokratische Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, ist der allerorten vertretene Standpunkt, die  insbesondere von Deutschland forcierte Austeritätspolitik habe das Wahlergebnis determiniert. Wäre dem so, dass das Wahlvolk angesichts von Spardiktaten, Sozialabbau und Marktliberalisierung massenhaft in Opposition zur EU gerät, wären Spanien, Portugal und Griechenland schon seit Jahren mit fliegenden Fahnen davongelaufen. Der primäre Faktor der Brexit-Entscheidung war die Angst vor den Folgen unkontrollierter Zuwanderung.

Vor der Wahl gaben mehr als 50 Prozent der Briten an, bei einem EU-Austritt mit einem Rückgang der Immigration zu rechnen. Nach der Wahl machte sich der triumphierende Mob in rassistischen Ausbrüchen breit, wie sie Großbritannien seit Menschengedenken nicht mehr gesehen hatte. Nicht die real existierenden Folgen der neoliberalen europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik (die für viele Briten persönlich auch eher vorteilhaft als nachteilig waren), sondern die Urängste einer zukunftsbangen Mittelschicht, die im Fremden nur die Bedrohung und nie die Chance sieht, führten zum Brexit. Also nicht Schäubles ständiger Fiskalrigorismus, sondern Merkels temporäre Grenzöffnung.

Damit hat die Linke nun ein Problem. Migration sorgt nämlich auch bei ihrer potentiellen Klientel, den unteren Zweidritteln der Vermögens- und Einkommenspyramiden, also der breiten Mehrheit der Wahlberechtigten, für gehörige Unruhe. Auch wer wenig hat, fürchtet den, der noch weniger hat. Ein Projekt der Linken müsste sein, eine Koalition der Benachteiligten hier mit den Benachteiligten in der ganzen Welt zu schmieden. Hoch die internationale Solidarität – das bleibt eine anzustrebende Maxime. Doch die Linke scheut diese Überzeugungsarbeit und kehrt das Problem der Immigration unter den Tisch. Oder verkündet (unisono mit den zivilisierteren Konservativen), dass man „die Ursachen der Immigration vor Ort“ bekämpfen muss. Und damit bekämpft man letztlich die Immigration. Und die Immigranten.

Migration ist grundsätzlich ein Problem unterschiedlicher Lebensbedingungen. Wie aber sind Lebensbedingungen anzugleichen? Am besten durch: Migration! Seit Millionen- und Milliarden von Jahren passt sich die evolutionsgetriebene Vielfalt der Lebewesen zunächst optimal an ihre Umwelt an und sucht bei sich radikal ändernden Bedingungen erfreulichere Gefilde auf. Nicht nur Mutation und Selektion befeuert den genetischen Fortschritt, sondern auch Migration. In dieser Hinsicht ist der Mensch kein Irrläufer der Evolution – sieht er den Wohlstand, der auf seine Kosten in anderen Ländern entsteht, ist der Ortwechsel nicht die abwegigste Überlegung.

Dass das alles letztlich aus wahltaktischen Gründen die Linke meint, nicht darstellen zu müssen (sofern sie es selbst überhaupt verstanden hat), ist ein Skandal, wenn der aber dazu führt, die EU zu reformieren, zu demokratisieren und eine Sozialgemeinschaft zu werden und nicht weiter als Exekutivorgan von Wirtschaftsinteressen zu agieren, dann könnte die Fehlinterpretation des Brexits doch noch ihr Gutes haben. 

 

 

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