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Das Totschlagargument "Arbeitsplätze"

Veröffentlicht am 09.07.2016

Ob Rüstungsexporte, Freihandelsabkommen, Kohlesubventionen, Burgfrieden mit bereits jenseits der Legalität agierenden Automanagern, Ministererlaubnisse zur weiteren Konzentration im Einzelhandel – noch der größte ökonomische Unsinn lässt sich bestens damit rechtfertigen, dass er Arbeitsplätze „schafft“ oder „sichert“. Mit der gleichen Logik könnte man die Einführung der Todesstrafe fordern, da diese Arbeitsplätze im Henker-Gewerbe schaffen würde...

Ob Rüstungsexporte, Freihandelsabkommen, Kohlesubventionen, Burgfrieden mit bereits jenseits der Legalität agierenden Automanagern, Ministererlaubnisse zur weiteren Konzentration im Einzelhandel – noch der größte ökonomische Unsinn lässt sich bestens damit rechtfertigen, dass er Arbeitsplätze „schafft“ oder „sichert“. Mit der gleichen Logik könnte man die Einführung der Todesstrafe fordern, da diese Arbeitsplätze im Henker-Gewerbe schaffen würde.

„Sozial ist, was Arbeit schafft. Punkt.“ So ließ sich der einst als Superminister verehrte Wolfgang Clement (Ex-SPD) unlängst und unbeirrt vernehmen. Bis auf den „Punkt“ stand das wortgleich auf CSU-Plakaten. Noch unter SPD-Fahne agierende Wirtschaftsgenossen und altgediente CDU-Sozialarbeiter geben ähnliches zum Besten. Auch das Handelsblatt betitelte 2003 eine Kolumne: „Sozial ist, was Arbeit macht.“ Die Kolumne gratulierte zum 140sten Geburtstag der SPD – und empfahl ausgerechnet den von der Agenda 2010 noch nicht ganz Überzeugten, doch die Botschaft des Kolumnentitels endlich zu verinnerlichen.

Alle vergessen nur die Quellenangabe: Urheberrecht kann der Nazi-Propagandist und Pressemogul Alfred Hugenberg anmelden, der im Februar 1933 nicht ohne Erfolg plakatieren ließ: „Sozial ist, wer Arbeit schafft.“ Die Nuance, ob „wer“ oder „was“, ist sekundär – die beste Sozialpolitik, so die Quintessenz dieser These, ist die, die Arbeitsplätze entstehen lässt oder bestehende, mit welchen Mitteln auch immer, sichert. Insofern waren die Pyramidenbauer, die Sklavenhändler und diejenigen, die Kinder in den Bergwerken malochen ließen, weil die Beschäftigung Erwachsener zu hohe Stollen erfordert hätte und damit unprofitabel geworden wäre, soziale Wohltäter höchster Güte.

In der Logik dieser Argumentation steckt übrigens eine große Ablehnung des technischen Fortschritts. Denn technischer Fortschritt besteht seinem Wesen nach darin, menschliche Arbeitskraft durch Maschinen zu ersetzen – also Arbeitsplätze zu vernichten. Technischer Fortschritt wäre also das Nonplusultra des Unsozialen. Ist er aber eben nicht. Wie schon Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest“ von 1848 behaupteten, ist der durch den Kapitalismus befeuerte technische Fortschritt zwingend notwendig, um eine von den Fesseln der Erwerbsarbeit befreite und damit wahrhaft soziale und gerechte Gesellschaft entstehen zu lassen.

Für unser gegenwärtiges politisches Alltagsgeschäft bedeutet dies, dass sozial ist, was die Schwächsten am allgemeinen Wohlstand partizipieren lässt. Und unsozial ist, ihre Lage mit Niedrigstlöhnen, gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen und der Missachtung ihrer demokratischen Rechte auszubeuten. Man schafft Arbeitplätze, wenn man die Löhne senkt, die Arbeitszeiten verlängert, Arbeitsschutzbestimmungen abbaut, Gewerkschaftsrechte stranguliert, Umweltstandards senkt. Zumindest kurzfristig, bis die Gesamtnachfrage in der Volkswirtschaft mangels breitgestreuter Einkommen zusammenbricht. Siehe Weltwirtschaftskrise 1929 ff.

Nicht Arbeitsplätze sind an sich sozial, sondern Arbeitsbedingungen und Einkommen können es sein, wenn sie jedem das Einbringen seiner persönlichen Fähigkeiten ermöglichen und ihm eine angemessene Beteiligung am gesellschaftlichen Leben und der Gestaltung des Gemeinwesens garantieren. Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie, im Kohlebergbau, in der Herstellung von Suchtstoffen und gesundheitsgefährdenden Lebensmitteln sind unsozial. Ihre Schaffung oder ihr Erhalt schaden dem Gemeinwohl und den zukünftigen Lebensbedingungen. Sich daran zu beteiligen, sei es in unternehmerischer, politischer oder auch in gewerkschaftlicher Funktion, ist asozial.

 

 

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