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Was ist der Washingtoner Konsens?

Veröffentlicht am 26.07.2016

In englischsprachigen Medien ist bei wirtschaftspolitischen, insbesondere entwicklungspolitischen Themen häufig vom „Washington consensus“ die Rede. Gemeint ist das Prinzip der reichen Länder, Kredite und Unterstützung an ärmere Länder nur gegen die Erfüllung von Auflagen wie Marktliberalisierungen, Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen, Haushaltskonsolidierung und Abbau von Subventionen und Sozialleistungen zu gewähren. In Schwellen- und Entwicklungsländern ist Washingtoner Konsens daher fast ein Synonym für Neoliberalismus ...

In englischsprachigen Medien ist bei wirtschaftspolitischen, insbesondere entwicklungspolitischen Themen häufig vom „Washington consensus“ die Rede. Gemeint ist das Prinzip der reichen Länder, Kredite und Unterstützung an ärmere Länder nur gegen die Erfüllung von Auflagen wie Marktliberalisierungen, Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen, Haushaltskonsolidierung und Abbau von Subventionen und Sozialleistungen zu gewähren. In Schwellen- und Entwicklungsländern ist Washingtoner Konsens daher fast ein Synonym für Neoliberalismus.

Washington, D. C. ist nicht nur Hauptstadt der USA, Amts- und Wohnsitz des Präsidenten, Sitz vom Kapitol mit Kongress und Repräsentantenhaus sowie des Obersten Gerichtshofes. Es beherbergt auch die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds (IMF). Diese beiden Zentralorgane der Weltwirtschaft sind seit der lateinamerikanischen Schuldenkrise in den 1980er Jahren verantwortlich für Entwicklungskredite, Umschuldungen und das Management von Währungskrisen.

Mit dem Siegeszug des Neoliberalismus, beginnend mit den Wahlen von Thatcher in Großbritannien 1979 und von Reagan in den USA 1981, wurden auch die Chefposten und in der Folge die gesamte Führung mit Anhängern des Marktfundamentalismus besetzt. So herrschte in Washington seltene Einigkeit zwischen den oberen Etagen von Finanz- und Wirtschaftsministerium, IMF und Weltbank und nicht zuletzt denen der FED, der amerikanischen Zentralbank, die – man ahnt es – ihren Hauptsitz ebenfalls in Washington hat. Und damit diese geballte Elite auch stets die richtigen Gedanken hatte und die besten Entscheidungen traf, stieg die Zahl der Lobbyisten in Washington von 5000 im Jahre 1980 auf 28000 Ende der 1980er Jahre.

Das Dogma des Washingtoner Konsenses ist, dass alle ökonomischen Probleme aus einem Zuviel an Staat und einem Zuwenig an Markt resultieren. Staaten, die in Schulden-, Währungs- und Entwicklungsschwierigkeiten gerieten, wurde nur geholfen, wenn sie sich zu einem Bündel von fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen verpflichteten. Diese Überzeugungsarbeit mittels Daumenschrauben sicherte den reichen Ländern ihre hegemonialen Ansprüche, günstige Rohstoff- und Lebensmittelmärkte, Absatzchancen für Industrieprodukte, die auf den gesättigten Heimatmärkten keiner mehr haben wollte sowie lukrative Anlagemöglichkeiten für Kapital auf der Jagd nach besten Renditen.

Zu den geforderten Maßnahmen gehörten häufig Abschaffung von Preiskontrollen für Grundnahrungsmittel (was die Ärmsten hungern ließ), Abbau von „Bürokratie“ (was z. B. die Finanzverwaltungen schwächte und Kürzung von Renten und Arbeitslosengeld. Vermögens- und Erbschaftssteuern mussten abgeschafft oder verringert werden, Spitzensteuersätze mussten gesenkt werden, um Anreize für die „Leistungselite“ zu schaffen.

Mit der Asienkrise in den 1990er Jahren begann die Einheitsfront des Washingtoner Konsenses zu bröckeln, waren doch auf einmal auch Musterschüler seiner Heilslehren in größte makroökonomische Turbulenzen geraten. Mit der Berufung von Joseph E. Stiglitz zum Chefökonomen der Weltbank kam ein Wirtschaftsprofessor (und späterer Wirtschaftsnobelpreisträger) auf eine der Schlüsselpositionen, der der neoliberalen Sicht der Dinge eher skeptisch gegenübersteht. Doch alte Seilschaften und Netzwerke sind bis heute in Washington aktiv – auch wenn sie ihre Fäden nicht mehr im grellsten Scheinwerferlicht ziehen. „Sagen Sie meiner Mutter um Gottes Willen nicht, dass ich bei der Weltbank arbeite. Sagen Sie ihr, ich wäre Türsteher in einem Striplokal.“    

 

 

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